Ende März 2009 wurde auf Initiative des Basler Kultursenders ‚Radio X’ unter dem Titel «Die Charta – Berufschancen für Menschen mit einer Behinderung» ein Projekt lanciert, das innerhalb von 3 Jahren in der Region Basel 100 zusätzliche Stellen für Menschen mit einer Behinderung schaffen soll. Bisher haben 108 Arbeitgebende die Charta unterschrieben und innerhalb des ersten Jahres wurden gerade mal sechs neue Stellen für Menschen mit Behin-derungen geschaffen.
Rechnet man das ganze auf 26 Kantone hoch, ergäbe das für die ganze Schweiz 156 neue Stellen innerhalb eines Jahres – und auf 6 Jahre hinausgerechnet: 936 neue Stellen.
Mit der 6. IV-Revision sollen allerdings innerhalb von 6 Jahren 16’000 Menschen mit gesundheitlichen Beinträchtigungen in den Arbeitsmarkt integriert werden.
Wie das gehen soll? Das weiss niemand und vor allem; man will bei den verantwortlichen Politikern auch lieber nicht so genau wissen, dass vor der 5. Revsion vollmundig angekündigt wurde, es würden mittels Otto Ineichens Projekt «Passerelle» 3000 neue Stellen für Menschen mit Behinderungen geschaffen – das Projekt ging bachab, effektiv geschaffen wurden gerade mal 30 neue Stellen. Da will man auch nichts mehr davon wissen, dass man vor der 5. IV-Revision die Früherkennung mittels «Studienergebnissen» anpries, die «belegten» dass eine Eingliederung ins Arbeitsleben unbedingt innerhalb der ersten 12 Monate nach dem Beginn der Erkrankung erfolgen müsste, da die Erfolgsaussichten ansonsten äusserst gering wären (nun aber will man auf einmal Menschen eingliedern, die schon jahrelang aus dem Arbeitsleben herausgefallen sind).
Da will man auch keine Resultate abwarten, die die Erfolge oder Misserfolge der 5. IV-Revision aufzeigen. Und nein, liebe Politiker und Verantwortliche des BSV: Die um 40% reduzierte Neurentenquote der letzten Jahre ist kein Erfolg, wenn die Betroffenen danach in der Sozialhilfe landen. Aber weil es keine offiziellen Zahlen dazu gibt, wieviele von den bei der IV Abgewiesenen schlussendlich bei der Sozialhilfe anklopfen müssen (oder aber von Verwandten bzw. Ehepartnern unterstützt werden müssen, weil die Sozialhilfe erst bezahlt wenn alle andere Möglichkeiten ausgeschöpft sind) existiert dieses Problem hochoffiziell natürlich gar nicht.
Genausowenig wie Zahlen dazu existieren, wie erfolgreich die mit der 5. IV-Revi- sion eingeführten Instrumente zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt denn nun wirklich sind. Und selbst wenn es offizielle Zahlen gäbe: Wieviele «Erfolge» sind denn da nun wirklich auf die Intervention der IV zurückzuführen? Und wieviele Menschen wären früher auch ohne «Früherkennung» der IV so oder so im Arbeitsmarkt verblieben?
Die ganze IV-Revisioniererei ist ein einziges Desaster. Früher wurden Menschen via IV frühpensioniert und bei den heute so gescholtenen psychisch Kranken interessierte man sich bei der IV keinen Deut darum, wie man diese erfolgreich wiedereingliedern könnte. Selbst wenn die Betroffenen sich eine Eingliederung gewünscht hatten, wurde diese in den allermeisten Fällen nicht bewilligt, weil man schlicht keine funktionierende Eingliederungsprogramme für diese spezi-fische Gruppe anbieten konnte und sich da auch nicht weiter drum kümmerte.
Dann wurde in den letzten Jahren der politische Druck auf die IV immer grösser und nun gibt man diesen Druck an die Betroffenen weiter, die sich nun gefälligst wieder einzugliedern haben, auch wenn man den selben Menschen vor zehn Jahren beschied, sie hätten sowieso keine Chance auf dem Arbeitsmarkt.
Und wenn das mit der Eingliederung nicht funktioniert (nicht funktionieren kann, weil irgendjemand die gesundheitlich eingeschränkten Menschen ja auch anstellen muss), erhöht man einfach von IV-Revision zu IV-Revision den Druck auf die Betroffenen und versucht mit allerlei Tricks sie trotz bestehender Behin-derung von Versicherungsleistungen der Invalidenversicherung auszuschliessen. Beispielsweise indem Gutachten zu Ungunsten der Versicherten ausgestellt werden. Oder indem per Bundesgerichtsentscheid festgelegt wird, welche Krankheiten fortan nicht mehr IV-berechtigt sind. Oder indem schlicht und einfach das Gesetz in der 6. IV-Revision dahingehend geändert wird, dass Menschen von heute auf morgen die IV-Rente entzogen werden kann, die ihnen einst rechtmässig zugesprochen wurde – obwohl sich ihr Gesundheitszustand seither nicht verändert hat.
Eingliederung ist gut, wichtig und richtig – aber eine Umstellung eines Systems, das jahrelang seine Pflicht zur Eingliederung nur sehr mangelhaft wahrge-nommen hat, kann nicht innerhalb weniger Jahre geschehen. Auch in Wirtschaft und Gesellschaft muss ein Umdenken stattfinden, was die Integration von Menschen mit Behinderungen betrifft. Und gerade wenn die SVP immer am lautestesten «sparen» schreit bei der Invalidenversicherung, so macht sie sich doch gänzlich unglaubwürdig, wenn sie sich auf der anderen Seite ebenso vehement gegen die Integration von behinderten Kindern in die Regelschule wehrt. Integration beginnt nicht erst beim Eintritt ins Arbeitsleben. Integration beginnt viel früher und muss viel früher beginnen. Wer es als Kind bereits als selbstverständlich erlebt, gemeinsam mit Kindern mit Behinderungen zur Schule zu gehen, der ist später als Arbeitgeber auch MitarbeiterInnen mit Behin-derungen gegenüber aufgeschlossener.
Eine solche gesellschaftliche Änderung lässt sich aber nicht mittels der x-ten IV-Revision und unendlichem einseitigen Druck auf Menschen mit Behin-derungen erzwingen. Dazu braucht es ein bis zwei Generationen Zeit. Die die Politiker, welche für die Revisionitis verantwortlich sind, aber nicht haben. Schliesslich wollen sie schon vor den nächsten Wahlen «ihre Erfolge» präsentieren können.