Im ihrem aktuellen Newsletter berichten die schadenanwaelte.ch über ein von ihnen geführtes Verfahren, in dem sich der an einem Burnout erkrankte Kläger gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber wehrte, der gegenüber dem Vertrauensarzt einer Krankentaggeldversicherung ausgesagt hatte, sein ehemaliger Arbeitnehmer wolle «bloss schmarotzen».
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz verurteilte den ehemaligen Arbeitgeber wegen übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von Fr. 4’600.- und einer Busse von Fr. 1’150.-
Das Urteil ist insofern interessant, als die NZZ im Februar 2015 über ein Urteil des Verwaltungsgerichtes berichtete, wonach ein IV-Antragsteller kein Anrecht darauf habe, Auskunft darüber zu erhalten, wer ihn bei der IV-Stelle ungerechtfertigerweise als Betrüger angeschwärzt hatte:
Konkret ging es um einen Mann, der ein Gesuch um eine IV-Rente gestellt hatte. Im Laufe des Verfahrens traf bei der kantonalen IV-Stelle ein Brief ein, der ausführte, dass der Betreffende bei mehreren Firmen tätig sei. Die IV-Stelle informierte den Mann über den Brief, teilte ihm aber nicht mit, wer der Urheber war. Die Aussagen im Schreiben waren aber offenbar nicht überzeugend und vermochten das Verfahren nicht zu beeinflussen; der Mann erhielt die verlangte IV-Rente.
Wie die Vorinstanz, so lehnt es auch das Bundesverwaltungsgericht ab, dem IV-Bezüger den Namen des Anzeigers zu nennen. Zwar habe der Mann gestützt auf das Datenschutzgesetz grundsätzlich Anspruch darauf, die ihn betreffenden Akten einzusehen und deren Herkunft zu kennen. Dieses Recht könne jedoch eingeschränkt werden.
Für das St. Galler Gericht geht das Interesse des Anzeigers vor, zumal dieser nicht aus Feindseligkeit oder sachfremden Motive gehandelt habe. Auch bestehe ein öffentliches Interesse daran, die Identität des Informanten geheim zu halten. Amtliche Stellen könnten nicht mehr auf solche Hinweise zählen, wenn zum vornherein damit gerechnet werden müsste, dass die Angaben und die Identität der jeweiligen Personen bekanntgegeben würden.
Diverse IV-Stellen gehen dem Problem der Offenlegung ihrer Informanten gleich ganz aus dem Weg, indem sie auf ihren Webseiten – seit Jahren – «Missbrauchsmeldeformulare» anbieten, mittels derer IV-Bezüger anonym angeschwärzt werden können. Ist der Meldende nicht bekannt, kann schliesslich sein Name auch nicht preisgegeben werden.
Der Beobachter schrieb am 11. April 2012 unter dem Titel «IV-Bezügern auf die Finger schauen»:
Die IV-Stellen-Konferenz geht davon aus, dass letztes Jahr allein in der Deutschschweiz fast 1500 Hinweise aus dem Volk eingegangen sind – telefonisch oder schriftlich, meist anonym.
(…) Bei der Zürcher IV-Stelle erhärten sich rund 10 bis 15 Prozent von jährlich etwa 360 sogenannten Bürgeranzeigen.
Weshalb entpuppt sich ein Grossteil der Meldungen aus der Bevölkerung als falsch? Daniela Aloisi vermutet, dass es vielfach an Wissen fehlt. «Meist glauben die Leute, dass IV-Bezüger gar nicht arbeiten dürfen.» Viele aber hätten bloss eine Teilrente und könnten die bisherige Tätigkeit in reduziertem Umfang weiter ausüben. Oder jemand könne zum Beispiel nicht mehr als Bodenleger arbeiten, aber durchaus Zeitungen austragen.
Ein anonymer Telefonanruf sorgte auch bei der Basler IV-Stelle für genauere Abklärungen. Unter dem Titel «Arbeitsunfähiger Pfleger gibt 70 Konzerte im Jahr» schrieb die bz Basel am 24.6.2015:
Rückwirkend per 2001 hob [die Invalidenversicherung] die Rente auf, die Pensionskasse tat dasselbe. Nebst dem Strafverfahren kommen auf den Mann nun auch Rückforderungen zu: Um über eine halbe Million Franken wird gestritten. Dieser sozialversicherungsrechtliche Teil ist derzeit noch vor dem Bundesverwaltungsgericht hängig. Staatsanwalt Urs Müller forderte am Dienstag eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten wegen gewerbsmässigen Betrugs, sechs Monate davon soll der Mann absitzen.
Einen Tag später verkündete die bz dann etwas kleinlaut das Urteil: IV-Rentner darf als Musiker auftreten – Ein 68-jähriger Musiker hat die IV nicht betrogen: Konzerte als Nebenerwerb sind erlaubt. Aber deklarieren hätte der IV-Bezüger aus Basel die Einnahmen müssen.
Das Gericht folgte damit dem Verteidiger, der in der Verhandlung gefragt hatte: «Wie muss sich ein IV-Rentner verhalten? Muss er zu Hause sitzen und Däumchen drehen?»
Dieser Meinung sind offenbar eine nicht unbeträchtliche Zahl von Bürgern, die vermeindliche «Missbräuche» melden. Das soll man durchaus weiterhin tun können, es wäre allerdings überaus erfreulich, wenn sich mal jemand dafür einsetzen würde, dass
- Hinweise auf Betrugsverdacht nicht mehr anonym entgegengenommen werden dürfen
- im Falle von Haltlosigkeit dem betroffenen IV-Bezüger der Name des Meldenden genannt und damit die Möglichkeit gegeben wird wegen übler Nachrede zu klagen.
Es kann nicht angehen, dass der Staat anonymes Anschwärzen unterstützt und schützt und IV-BezügerInnen als BürgerInnen zweiter Klasse behandelt, die sich nicht dagegen wehren dürfen. Zur Erinnerung: Die Betrugsquote bei der IV beträgt unter einem Prozent.
Anmerkung zu den Gerichtsentscheiden: Stand bei Publikationsdatum in den angegebenen Medien – etwaiger Weiterzug an das Bundesgericht jeweils nicht recherchiert.