Die Invalidenversicherung ist keine «Behinderten»- sondern eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung

Im Herbst 2010 reichte die EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller die Motion «Invalid ist nicht mehr in» ein:

Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament rechtliche Grundlagen vorzulegen, die es ermöglichen, den im Regelwerk der nationalen Gesetzgebung verwendeten Begriff „Invalid“ (und die mit ihm verwandten Begriffe) zu ersetzen.

Ich schrieb damals noch vor der Beantwortung des Vorstosses durch den Bundesrat:

Bevor nun eine überbezahlte PR-Agentur mit der neuen Namensfindung beauftragt und Gremien zur Auswertung der Vorschläge einberufen werden, schlage ich vor, das Ganze für einmal höchst unbürokratisch, kurz und schmerzlos zu halten und aus der Invaliden- eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung zu machen.

Der Bundesrat fand das aber keine gute Idee:

Bereits im Rahmen der 5. IV-Revision (…) prüfte der Bundesrat die Möglichkeit, den Ausdruck „Invalidität“ durch „dauernde Erwerbsunfähigkeit“ zu ersetzen. Doch auch dieser Ausdruck wurde verworfen, da er ebenfalls negativ konnotiert ist („Erwerbs-un-fähigkeit“) und keine Verbesserung bringt.
Eine neue Terminologie zöge zudem eine Änderung der Bundesverfassung (was eine Volksabstimmung zur Folge hätte) und verschiedener Bundesgesetze nach sich. Zudem müssten zahlreiche internationale Vereinbarungen über soziale Sicherheit angepasst und neu verhandelt werden. Ein solch erheblicher administrativer Aufwand stünde in keinem Verhältnis zur erhofften Verbesserung.

Im April dieses Jahres hat Nationalrätin Marianne Streiff-Feller die selbe Forderung unter dem Titel «Gegen sprachliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderung»  und inhaltlich basierend auf dem geklauten Leitfaden der Agile («Sprache ist verräterisch») nochmals eingereicht. Genau wie 2010 schreibt sie:

Der Ausdruck „Invalidität“ wird seit Jahren von Menschen mit Behinderungen, deren Angehörigen und weiteren Kreisen als diskriminierend empfunden. Die Kantonalen Behindertenkonzepte verwenden die Terminologie „Menschen mit Behinderung“, im Behindertengleichstellungsgesetz wird nicht von Invaliden gesprochen. Es ist höchste Zeit, dass auch der Bund diesen Begriff abschafft.

Im gestrigen 20 Minuten erklärte Streiff-Feller:

Die IV könnte zum Beispiel VMB heissen – Versicherung für Menschen mit Beeinträchtigung.

Scheinbar hat Frau Streiff-Feller in den letzten fünf Jahren niemand erklärt, dass behindert «beeinträchtigt» nicht das selbe ist wie «erwerbsunfähig». Denn die IV ist keine «Behindertenversicherung», sondern eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Und viele Menschen mit sichtbarer Behinderung kämpfen genau gegen das Vorurteil, dass sie aufgrund ihrer Behinderung automatisch für erwerbsunfähig gehalten werden. Streiff-Feller hätte einfach mal ihren Fraktionskollegen, den sichtbar behinderten CVP-Nationalrat Christian Lohr fragen können, weshalb er – obwohl ganz offensichtlich Nationalrat – in fast jedem Interview erklären muss, dass er keine IV-Rente bezieht.

Aber daran hat die INSOS-Präsidentin Streiff-Feller (INSOS = Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderungen) trotz ihrem behinderten Nationalratskollegen ganz offenbar nicht gedacht: Dass es ausserhalb der Institutionen tatsächlich Menschen gibt, die zwar behindert beinträchtigt, aber nicht erwerbsunfähig sind.

Und das ist es, was mich am Behindertenbereich immer wieder so enorm stört; Man protestiert mal lautstark und öffentlich gegen irgendwas, weil das doch soooo gemein gegen die aaarmen Behinderten wäre. Aber die ganze Sache vorher wirklich durchdacht hat man nicht. Und praktikable und wirklich überzeugende Lösungsvorschläge anbieten kann man auch nicht.

Da muss man sich dann auch nicht wundern, wenn SVP-Nationalrat Mauro Tuena den Vorstoss folgendermassen kommentiert:

«Wir haben weiss Gott andere Probleme in diesem Land.»

Aber vielleicht gehören solche Pseudovorschläge zum ganzen Spiel dazu: Damit Menschen mit (und auch ohne) Behinderung öffentlich vorexerziert wird, dass «man» sich für die Behinderten einsetzt, (aber ja doch…) aber leider leider sind alle anderen so gemein und wollen sich einfach keine guten Lösungen einfallen lassen.

So ermächtigt man keine Betroffenen, man hält sie im Opferstatus.

Siehe auch: Warum die IV keine «Behindertenversicherung» (mehr) sein soll 

Barrierefreier ÖV ist unnötig – Finden grosse Teile der SVP, der FDP sowie Pius Segmüller und Reto Wehrli (et al) von der CVP

So ganz heimlich und versteckt wollte man den Zahlungsrahmen des BehiG von 15 auf 5 Millionen Franken pro Jahr kürzen und die Frist zur Anpassung von Bauten, Anlagen und Fahrzeugen des ÖV an die Bedürfnisse von behinderten Personen um 15 Jahre bis 2038 zu verlängern. Nationalrätin Margret Kiener Nellen (SP/BE) hat daraufhin die Motion «Verzicht auf unsinnige Sparmassnahme gegen Behinderte und Betagte» eingereicht und diese wurde heute mit 97 zu 93 Stimmen vom Nationalrat angenommen. Grüne und SP stimmten geschlossen dafür.

  • Bei der SVP stimmten 53 NationalrätInnen dagegen und folgende vier dafür: Geissbühler (BE), Grin (VD), Joder (BE), Rickli (ZH).
  • Bei der FDP stimmten 25 Räte dagegen und folgende fünf dafür: Caviezel (GR), Gysin (BL), Ineichen (LU), Philipp Müller (AG), Walter Müller (SG).

Die Motion muss nun aber noch vom Ständerat gutheissen werden. Mal schauen, was da all die Damen und Herren sagen, die wenn’s um IV-Revisionen geht, immer so gerne das Wort «Eingliederung» im Munde führen.
Wie unmöglich die heutige Situation bei den ÖV für RollstuhlfahrerInnen ist, hat übrigens kürzlich der Kassensturz aufgezeigt.

Nachtrag: Ich mag nicht immer nur meckern, sondern auch mal ehrlich Danke sagen: Ohne die Unterstützung der vier SVP-lerInnen wäre die Motion heute nämlich durchgefallen.

NR Hassler für Bevorzugung der Bauern durch die IV

Im Nationalrat sitzen 27 Landwirte, soviele Vertreter hat keine andere Branche. Dieser Lobby gelingt es immer wieder, für ihren eigenen Stand Vorteile und Extraregelungen auszuhandeln, beispielsweise, dass die Bauern auch dann nicht sparen müssen, wenn dem Rest der Schweiz ein Sparprogramm auferlegt wird.

Man bekommt zuweilen das Gefühl, die übrigen Parlamentarierer befürchteten eine Art Produktionsstreik der Landwirte (und infolgedessen den elenden Hungertod der ganzen Bevölkerung), wenn deren vielfältige Privilegien beschnitten würden. Dafür dass der Agrarsektor heute noch gerade ein Prozent unseres Bruttoinlandproduktes (BIP) erwirtschaftet, ist diese grosse Macht der Bauern doch irgendwie… beeindruckend.

Und ihr Selbstbewusstsein ist auch… beeindruckend. Da geht man – in diesem Falle Landwirt und Nationalrat Hansjörg Hassler (BDP) – dann auch mal ganz selbstbewusst frech hin und befindet, dass die Behandlung der Landwirte durch die IV gar nicht in Ordnung ist: «Die IV geht einfach davon aus, dass einem Landwirt, gleich welchen Alters, gleich welcher Behinderung und unabhängig davon, wo er wohnt, auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt ausreichend gut bezahlte Arbeitsplätze, die seiner Behinderung angepasst wären, zur Verfügung stünden. Der Landwirt, der dem Rat der IV folgt und seinen Betrieb aufgibt, landet aber direkt bei der Fürsorge, da er auf dem heutigen Arbeitsmarkt mit grösster Wahrscheinlichkeit keine Stelle findet und als Selbständigerwerbender auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat.»

Und weil dass ja alles total unfair ist gegenüber den armen benachteiligten Bauern, stellt man dann im Rahmen einer parlamentarischen Interpellation folgende Fragen an den Bundesrat:

1. Teilt er die Auffassung, dass die geschilderte Problematik für die betroffenen Bauern zu äusserst schwierigen Situationen führt?

2. Ist er nicht auch der Meinung, dass bei den IV-Leistungen für einen Landwirt mit einem eigenen Landwirtschaftsbetrieb andere Kriterien beizuziehen sind als bei angestellten Personen?

3. Ist er nicht auch der Auffassung, dass eine Betriebsaufgabe für einen Landwirt wenn immer möglich verhindert werden sollte?

4. Ist er bereit, die IV-Leistungen an die Landwirte zu überprüfen und nach neuen dem Berufsstand angepassten Lösungen bei den IV-Leistungen zu suchen?

Lautes Rufen nach IV-Revisionen, verschärfte Zumutsbarkeitskriterien und Mitwirkungspflichten, alles bestens und erwünscht – so lange es die andern trifft – und trifft’s dann die eigenen Leute, dann versucht man einfach flugs ein Bauern-Extraspezial-Gesetz reinzumogeln.

Ich weiss nicht, ob man das noch ein «gesundes Selbstbewusstsein» nennen kann oder schlicht eine Unverschämtheit. Ich tendiere zu zweiterem.

Leider konnte ich keine aktuelleren Zahlen als diejenigen aus dem Agrarbericht (2006) über das Jahr 2001 finden, aber da steht jedenfalls «2001 wurden von den 28’182 Landwirtinnen und Landwirten, welche ausschliesslich* in der Landwirtschaft tätig waren, 1’852 Personen zu Bezüger einer IV-Rente. Diese Anzahl entspricht 6,6%. Im Vergleich hierzu lag 2001 die Wahrscheinlichkeit, eine IV-Rente zu beziehen, gesamtschweizerisch bei 4,6%.»

Der Agrarbericht begründet diese erhöhte Zahl folgendermassen: «Der hohe prozentuale Anteil der IV-Rentner aus dem Bereich Landwirtschaft weist u.a. auf die Schwere und Gefährlichkeit der Arbeit der in diesem Sektor tätigen Personen hin.»

Soweit so gut. Es wird wohl niemand bestreiten, dass eine Tätigkeit in der Landwirtschaft ein erhöhtes gesundheitliches Risiko bedeutet – was man aber gerade aus dieser Ecke vehement bestreitet: dass andere Berufe (insbesondere solche, die überproportional oft von Ausländern ausgeübt werden) auch ein erhöhtes Invaliditätsrisiko aufweisen. Wenn ich hier mal kurz das aktuelle SVP-Parteiprogramm zitieren darf: «(…)Weiter müssen risikobasierte Rentenrevisionen durchgeführt werden, weil gewisse Nationalitäten (Balkanstaaten, Türkei) stark überproportional von der IV abhängig sind.»

Ehrlich, die sind schon lustig – oder? Erhöhtes Invaliditätsrisiko bei der eigenen Wählerschaft, das ist natürlich, weil die alle so »chrampfen», erhöhtes Risiko bei anderen; das ist, weil die alle Betrüger sind.

Und warum für einen Bauern eine Betriebsaufgabe und infolgedessen der Gang zum Sozialamt weniger zumutbar sein sollte, als beispielsweise für einen Gastwirt oder einen Schreiner… das weiss man auch nur bei der Bauernlobby.

*Viele Bauern und Bäuerinnen sind offenbar nicht ausschliesslich in der Landwirtschaft tätig, haben also noch ein zweites «Standbein» und für die ist die Neuorientierung bei gesundheitlichen Problemen einfacher. Die Invaliditäts- quote bei den Bauern, die nicht ausschliesslich in der Landwirtschaft tätg sind, liegt tiefer – aber um die geht’s ja bei der Anfrage nicht. Wollte ich nur noch anbringen: 28’000 ist NICHT die Gesamtzahl Bauern in der Schweiz – es sind diejenigen, die 2001 ausschliesslich in der Landwirtschaft tätig waren. Die Gesamtzahl der Bauernbetriebe in der Schweiz betrug 2009: 53’561.

IV-Revision 6a im NR – Zusammenfassung

Schauen wir uns mal an, was die Damen und Herren Nationalräte, deren Mahlzeitenentschädigung pro Sitzungstag 110.- und somit pro Session mehr als eine durchschnittliche IV-Rente beträgt, so gesagt und beschlossen haben:

Die Ablehung der Behindertenquote für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter dürfte mittlerweile allseits bekannt sein. Dazu kann man nur noch den pointierten Kommentar eines gewissen Emil Huber unter dem NZZ-Artikel «Arbeitsplätze für Behinderte ohne Quotenpflicht» zitieren: «Missbrauch» rufen, Leistungen kürzen, Ruf versauen – …und wenn die Rufer zu Taten gebeten werden, will keiner etwas wissen. Welche Heuchler.»

Nach Toni Bortoluzzis Drohung gleich zu Beginn der IV-Debatte, dass die SVP weder eine Quote noch einen Ausbau der persönlichen Assistenz dulde – ansonsten würde man die Vorlage ablehnen – lief alles exakt nach dem Fahrplan von SVP und FDP und man hätte sich die Debatte auch gleich ganz sparen können.

Grüne und SP äusserten sich stets klar, sachlich und engagiert trotz leider aussichtsloser Position gegenüber der bürgerlichen Mehrheit und hatten offensichtlich die Vorlage sehr genau studiert, was bei manchen Bürgerlichen äusserst fraglich war. Nicht nur Marianne Kleiner (FDP) fiel immer wieder durch etwas wirre Voten auf, auch andere bürgerliche Exponenten äusserten sich zuweilen doch sehr fragwürdig – so auch Ruth Humbel (CVP): «Die Minderheit will, dass auch für medizinisch nicht fassbare Beschwerdebilder eine Berentung möglich ist. Letztlich führt das dazu, dass jeder für sich selbst entscheiden kann, ob er eine Rente bekommt. Diese Mentalität hat in den Neunzigerjahren geherrscht und die IV wohl ins finanzielle Fiasko geführt. Wer damals eine Rente wollte, hat sie von einem Arzt verschrieben und von der IV-Stelle bestätigt oder dann von einem Arzt durchgesetzt bekommen.»

Das kommentiere ich jetzt mal nicht weiter, aber bemerkenswert an dieser Aussage ist doch, dass Frau Humbel sie im selben Votum untergebracht hat, in dem sie einen von ihr noch schnell reingschmuggelten Einzelantrag bewirbt, der (laut ihrer Formulierung) «verhindern will, dass eine Herabsetzung der Rente der IV zu einer Erhöhung der Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung führen kann».

Paul Rechsteiner (SP) bemerkte zu diesem Antrag: «Zum Antrag Humbel, der offensichtlich im Auftrag der Versicherungen gestellt worden ist und drastisch zeigt, was für eine Mentalität hier plötzlich zum Ausdruck kommt: Da geht es um die Kapitalsummen, welche die IV nach einem Unfall bei einem Haftpflichtigen kassiert hat; diese kommen ja nicht den Geschädigten zugute; und da soll nun der Verunfallte nicht nur seinen Rentenanspruch verlieren, sondern gerade auch noch seinen Haftpflichtanspruch, der ja mit nichts anderem begründet worden ist als damit, dass der Unfall zur Invalidität geführt hat. Laut Strafrecht wäre so etwas Betrug»

Dass die Mehrheit des Parlaments diesen hastig hineingemogelten Antrag auch noch annahm, war nur eine Gegebenheit unter vielen, die die von bürgerlicher Seite immer wieder eingestreuten Bemerkungen, man meine es ja gut mit den Betroffenen und wolle ihnen durch diese Vorlage die «Chance zur Integration geben» nur noch höhnisch und ihre wahren Beweggründe immer offensichtlicher erscheinen liess. Die rechte Ratshälfte schien nach der erfolgreichen Ablehung der Behindertenquote in eine Art Blutrausch verfallen zu sein und versenkten einen Antrag der Linken nach dem anderen.

Besonders stossend daran ist, dass so mehrere neue Bestimmungen Eingang in die Gesetzgebung fanden, die wie die fragwürdige Schlussbestimmung zu den pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne seriöse vorherige Abklärung, ohne Botschaft und ohne Vernehmlassung einfach so während der Komissionsberatung der NR-SGK noch schnell heimlich hineingemogelt wurden.

Beispielsweise der «Arbeitsversuch» nach Artikel 18a:
1 Die Invalidenversicherung kann einer versicherten Person versuchsweise einen Arbeitsplatz für längstens 180 Tage zuweisen, um die tatsächliche Leistungsfähgkeit der versicherten Person im Arbeitsmarkt abzuklären.
2 Während des Arbeitsversuchs hat die versicherte Person Anspruch auf ein Taggeld; Rentenbezügerinnen und -bezügern wird die Rente weiter ausbezahlt.
3 Während des Arbeitsversuchs entsteht kein Arbeitsverhältnis nach dem Obligationenrecht (…)

Heisst; der Arbeitgeber bekommt für 180 Tage eine Gratis-Arbeitskraft, da die IV Taggeld oder Rente weiter bezahlt.
Und Verweigerung seitens der Betroffenen dieser «Arbeitsplatzzuweisung durch die IV» dürfte dann wohl als Verletzung der Mitwirkungspflicht gelten… was wiederrum Kürzung oder gar Streichung der Rente/des Taggeldes zur Folge haben kann.

Oder auch Art. 66c zur Fahreignung
1 Zweifelt die IV-Stelle an der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, die zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen notwendig ist, kann sie die versicherte Person der zuständigen kantonalen Behörde (Art. 22 SVG) melden.
2 Die IV-Stelle informiert die versicherte Person über diese  Meldung.
3 Auf Anfrage im Einzelfall stellt die IV-Stelle der kantonalen Behörde die entsprechenden Unterlagen zu.

Dieser Artikel wurde (ebenfalls kurzfristig) aufgrund der in der Botschaft zur Via secura aufgeführten «Tatbestände, die eine Fahreignungsuntersuchung als angezeigt erscheinen lassen» eingeführt. Neben der Alkohol- und Betäubungsmittelabhängigkeit figurieren darunter auch «psychische Störungen, die zur Arbeitsunfähigkeit führen».

Nun muss man hierzu wissen, dass es ein altes Anliegen der SVP ist, Menschen mit psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeit das Lenken von Motorfahrzeugen zu verbieten. Dass es hier nur sehr bedingt um die Sicherheit im Strassenverkehr geht, sondern vielmehr um Disziplinierungsmassnahmen, nach dem Mottto: «Wer nicht arbeitet, soll auch kein Brot essen nicht autofahren» dürfte wohl jedem klar sein. Die von der SVP 2007 eingereichte Motion «Personen mit psychischen Defekten dürfen keine Motorfahrzeuge lenken» wurde denn auch vom Bunderat folgendermassen beantwortet: «Wenn allerdings eine Person wegen einer psychischen Krankheit eine IV-Rente bezieht, ist sie zwar wegen ihrer Krankheit ganz oder teilweise erwerbsunfähig; das heisst aber nicht, dass sie auch ein gefährlicher Verkehrsteilnehmer oder eine gefährliche Verkehrsteilnehmerin ist.»

Die SVP verfolgt ihr Ziel mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit aber weiter (Wir erzählen irgendwelchen Unsinn einfach so lange, bis es jeder glaubt) bereitet noch ein hübsches Deckmäntelchen (Votum Scherer «Es geht nicht gegen handicapierte Leute, sondern es geht um mehr Sicherheit») darüber und schon ist das ganze mehrheitsfähig und die SVP kann sich wieder brüsten, dass sie eben immer erreicht, was sie will.

So auch bei der persönlichen Assistenz – die zwar immerhin (endlich!) eingeführt wurde, aber eben auch nur auf ein absolutes Minumum begrenzt, so dass (neben vielen anderen Einschränkungen) Menschen mit einer geistigen, psychischen, einer Hör- oder Sehbehinderung davon ausgeschlossen sind und Angehörige nicht für Assistenzdienste entschädigt werden dürfen.

Des weiteren wurden in der Beratung der IV-Revision 6a noch die Hilfsmittel und die sogenannte Kostenwahrheit behandelt, auf die ich hier nicht weiter eingehen werde.

In der Gesamtbetrachtung der Voten und gefällten Entscheide ergibt sich das Bild einer bürgerlich-rechts dominierten Parlamentsmehrheit, für die Menschen mit Behinderungen vor allem eins sind: ein lästiger Kostenfaktor. Und gerade in ihrer Funktion als «lästiger Kostenfaktor» eignen sich Behinderte für Politiker ganz hervorragend, um mittels massiver Diskriminierung, Disziplinierung, Sanktionierung und Verleumdnung der Betroffenen politisches und persönliches Kapital aus der ganzen Angelegenheit schlagen zu können. Es bleibt zu hoffen, dass der massive öffentliche Widerstand der Wirtschaft gegen Behindertenquoten auch dem einen oder anderen simpleren Gemüt endlich die Augen geöffnet hat über die wahren Absichten hinter all den heren Lippenbekentnissen zur sogenannten «Eingliederung statt Rente».

Eine genauere Betrachtung verdient auch das Abstimmungsverhalten jener CVP-Politiker, die das C immer besonders akzentuiert vor sich hertragen, wie beispielsweise Pius Segmüller: Sich öffentlich mittels angeblicher Wohltätigkeit für Behinderte zu profilieren, lässt sich offenbar problemlos mit einem konsequent behindertenfeindlichen Abstimmungsverhalten (das merken die Behinderten doch nicht…) vereinbaren. Wahrscheinlich fusst das «Engagement für die Schwächsten der Gesellschaft» auf einer Art Ablasshandel zur Wieder-gutmachung des dem grossen «C» diametral entgengesetzten Verhaltens im Nationalrat. In diesem Sinne dürfte wohl der eine oder andere Politiker nach der beendeten IV-Debatte zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichtes ein Nötli für die Kinder in Kriegsgebieten in den auf dem Bundesplatz stehenden JRZ-Glaskubus gesteckt haben.

Wortprotokolle Nationalrat (Wintersession 2010, 14. und 16. Dezember, IV-Revision, Erstes Massnahmenpaket)

Anfrage zur IV-Betrugsbekämpfung, vorzubringen im Nationalrat

  • Anfrage
  • Betrugsbekämpfung in der Invalidenversicherung
  • Eingereicht von:
  • Einreichungsdatum: so bald wie möglich
  • Einzureichen: im Nationalrat

Einzureichender Text: Kürzlich veröffentlichte die Invalidenversicherung die Zahlen zur Betrugsbekämpfung im Jahr 2009. Einige Angaben fehlen dabei jedoch:

  1. Wieviele Dossiers von Versicherten wurden insgesamt im Jahr 2009 überprüft? Anzahl bestehende Renten? Anzahl der Rentenanträge?
  2. Wieviele der Betrugsfälle betreffen bestehende Renten und wieviele Rentenanträge?
  3. Weshalb wurden bei 240 Betrugsfällen nur in 20 Fällen unrechtmässig bezogene Leistungen zurückgefordert?
  4. Weshalb wurden bei 240 Betrugsfällen nur in 10 Fällen ein Strafverfahren eröffnet?
  5. Wurden im Rahmen der Abklärungen vorsorglich Rentenzahlungen eingestellt? In wievielen Fällen? Bei wievielen vorsorglichen Renteneinstellungen erwies sich der Betrugsverdacht als falsch?
  6. Wie hoch sind die Kosten für die Betrugsbekämpfung pro Jahr?

Sehr geehrte Damen und Herren Nationalräte und Nationalrätinnen, das wären doch einmal ein paar interessante Fragen an Herrn Burkhalter.

Vielleicht etwas weniger unterhaltsam als Fragen zur Gymkhanaprüfung, oder zu Bündnerfleisch. Aber wichtig.

Nationalrätliche Motion gegen die Rechtssicherheit auf bestehenden IV-Renten

Das Bundesgericht entschied bislang schon verschiedentlich zu Gunsten von IV Bezügern, denen vor der 4. und 5. IV Revision Renten zugesprochen und nach erfolgter Gesetzesänderung wieder (teilweise) aberkannt wurden, da beispielsweise eine somatoforme Schmerzstörung nach heutiger Rechts-sprechung keine rentenauslösende Gesundheitsbeeinträchtigung mehr darstelle.

Das Bundesgericht jedoch gewichtete Rechtssicherheit und Vertrauensschutz höher als die Anwendung der neuen Praxis. Zudem hätten die Betroffenen zu Recht eine Rente bezogen und es wäre für sie sehr schwierig, sich nach so langer Zeit wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.

An dieser Praxis des Bundesgerichts stören sich Nationalrat Reto Wehrli (CVP) und 49 Mitunterzeichnende Nationalräte, die den Bundesrat in der Motion Neuüberprüfung von laufenden IV-Renten. Rechtsstaatlich klare Regelung auffordern, rechtliche Grundlagen zu schaffen, um auch bereits laufende Renten, die der neuen Gesetzeslage nicht entsprechen, aufheben zu können.

Die Schwierigkeiten von Menschen, die jahrelang aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen waren und zudem unter einer (wenn auch laut neuer Gesetz-gebung «nicht nachweisbaren») gesundheitlichen Beinträchtigung leiden, überhaupt wieder eine Stelle zu finden, hält auch Katja Gentinetta, stv. Direktorin von Avenir Suisse, für komplett irrelevent. Sie schreibt in einem Artikel in der NZZ, dass auch die gegenwärtig steigende Arbeitslosigkeit keinen Grund darstelle, «die Invalidenversicherung zu einer – notabene wesentlich komfortableren- Dauerarbeitslosenversicherung zu machen». Die Invaliden-versicherung dürfe ausschliesslich einen Erwerbsersatz aus nachweisbaren gesundheitlichen Gründen garantieren.

***

Die Perspektive aus dem komfortablen Nationalratssaal oder dem nicht minder komfortablen Vorstandsbüro von Avenir Suisse auf den realen Arbeitsmarkt für Menschen mit gesundheitlichen Beinträchtigungen (ob «nachweisbar» oder nicht) scheint gründlich verzerrt: Selbstverständlich spielt der Gesundheits-zustand und damit einhergehend auch die Leistungsfähigkeit eine entscheidende Rolle, ob  jemand auf dem Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance hat. Auch als «objektiv überwindbar» geltende Beinträchtigungen sind, was sie sind: Beinträchtigungen, die es jeden Tag aufs Neue zu überwinden gilt und die es enorm erschweren mit den momentan rund 150’000 gesunden(!) Arbeitslosen in Konkurrenz zu treten.

Und wie sich da erst Menschen behaupten sollen, die bereits jahrelang berentet wurden…? Notabene nicht aufgrund von Betrug, sondern alleine durch die Praxis der IV-Behörden.

Kann es wirklich das alleinige Problem der Versicherten sein, wenn die Invalidenversicherung alle paar Jahre die Gründe für eine Berentung ändert?
Rechtssicherheit? Besitzstandwahrung? – Fremdworte für Behinderte und chronisch Kranke.
Selbst der Anspruch auf Wiedereingliederungsmassnahmen wird für jene nicht gegeben sein, deren Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung aufgehoben wird. Denn sie sind – auch wenn sie 10 Jahre oder länger berentet wurden, laut neuer Rechtsprechung «nicht behindert/krank».

Die Absicht dahinter ist klar: aus der «komfortablen Dauerarbeits-losenversicherung IV» sollen möglichst viele Menschen in die Sozialhilfe «verschoben» werden.