Debatte im NR über Behindertenquote

Heute wurde im NR der erste Teil der IV-Revision 6a besprochen – die Debatte endete mitten im erbitterten Kampf der Bürgerlichen und Rechten gegen die Quote – und wird nächsten Donnerstag weitergeführt.

Stellvertretend für die ganze Debatte lasse ich mal Herrn Triponez gegen den bösen Zwang zur Quote sprechen: «Man will ja beide Parteien mit Liebe und Vertrauen zueinander führen.»

Seit Jahren dreht sich die Debatte um die Invalidenversicherung hauptsächlich um Betrug, Sanktionen und verschärfte Mitwirkungspflichten für Betroffene und zwar mit vollster Unterstützung der FDP. Und wenn Mitwirkungspflichten auf Seiten der Unternehmen eingefordert werden (die entgegen anderslautender Versprechungen ihre Verantwortung eben nicht wahrgenommen haben und auch absolut nicht willens sind, dies in Zukunft zu tun) packt Herr Triponez auf einmal die Samthandschuhe aus und spricht davon, dass Arbeitgeber und behinderte Arbeitnehmer sich doch mit Liebe und Vertrauen begegnen sollen.

Ich glaube, das war in etwa die dreisteste Heuchelei in der heutigen Debatte. Obwohl einige Herrn Triponez durchaus Konkurrenz machen konnten, beispielsweise Otto Ineichen (ebenfalls FDP), der von sich sagt: «ich kann ja wohl für mich behaupten, dass ich für die Integration von Menschen, seien es Jugendliche, ältere Leute oder Behinderte, sehr viel tue. (…) Glauben Sie tatsächlich, dass Sie mit Zwang Leute eingliedern können? Ich glaube wirklich, dass dies der falsche Weg ist.»

Dabei ist ihm dann wohl entfallen, dass die 3000 Arbeitsplätze für Behinderte, die er medienwirksam vor der 5. IV-Revision versprach, effektiv gar nie geschaffen wurden, weil sein Projekt Passerelle kurz darauf grandios scheiterte. Was dann aber natürlich nach der Annahme der 5. IV-Revision auch keinen mehr interessiert hat.

Auch in den Zeitungen wehrt sich die Wirtschaftslobby mit Händen und Füssen gegen die Quote:

Thomas Daum, Direktor des Arbeitgeberverbandes im Tagi «Wo soll eine Privatbank oder eine Ingenieurunternehmung Behinderte finden, um die Quote zu erfüllen?» (was einmal mehr bestätigt: Behindert = dumm, denkt Herr Daum)

Arbeitgeberpräsident Rudolf Stämpfli: «Man bürdet dem Arbeitgeber eine gesellschaftspolitische Aufgabe auf, als seien alle Behinderungen im Berufsleben entstanden. Wir sind nicht die Reparaturwerkstatt der Gesellschaft

Man kann sich ja nun tatsächlich fragen, ob Quoten der geeignete Weg sind, mehr Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, aber nur schon die Diskussion darüber zeigt so unverholen die wahre Gesinnung derjenigen auf, die immer ganz schnell mit Leistungskürzungen und Zwangs-massnahmen für Menschen mit Behinderungen bei der Hand sind, dass sich nur schon dafür die ganze Diskussion mehr als lohnt…

Am Donnerstag geht die Diskussion im Nationalrat in die zweite Runde.

Der Arbeitgeberverband heuchelt Mitgefühl

Firmen mit mehr als 250 Angestellten sollen ein Prozent ihrer Arbeitsplätze für Behinderte reservieren müssen. Mit dieser Quote will die Sozialkommission des Nationalrats (SGK) dazu beitragen, dass möglichst viele IV-Bezüger wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden.

Ob der Nationalrat diesem Vorhaben zustimmen wird, ist allerdings fraglich, denn kaum wurde das Pressecommuniqué der SGK veröffentlicht, folgte aus Wirtschaftskreisen das obligate Aufjaulen. Allen voran der Schweizerische Arbeitgeberverband: «Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) lehnt die Einführung einer Quote dezidiert ab. Eine arbeitgeberbezogene Integra-tionsquote, kombiniert mit einem Bonus-/Malussystem, ist seiner Meinung nach nicht zielführend. Zwang und Quoten schaffen schlechte Voraussetzungen, um Handicapierte in eine für sie angenehme Arbeitsumgebung zu integrieren. Betroffene würden in Betrieben als «Quoten-Integrierte» geduldet und ausgegrenzt. Sie würden nicht als vollwertige Mitarbeitende in die Belegschaft aufgenommen.»

Es ist ja wirklich herzerweichend, wie sehr sich der Arbeitgeberverband vorder-gründig um die armen Behinderten sorgt. Seltsamerweise hatte man beim SAV bei der Zustimmung zu den IV Revisionen 5, 6a und 6b überhaupt keine Skrupel eben so dezidiert, wie man sich jetzt gegen eine Einführung von Quoten äussert, dem Ausschluss verschiedener Krankheitsbilder aus der IV sowie einer weiter verschäften Eingliederungspflicht (für die Betroffenen) zuzustimmen.

Die Betroffenheitsnummer wirkt in diesen Zusammenhang also reichlich unglaubwürdig. Um nicht zu sagen: kalkuliert geheuchelt. Herr Daum und seine Kollegen spekulieren einmal mehr ganz gezielt mit der Dummheit der Behinderten bzw. derjenigen, die es ja «nur gut meinen mit den Behinderten». Es fällt bei Aussagen wie «Betroffene würden in Betrieben als «Quoten-Integrierte» geduldet und ausgegrenzt. Sie würden nicht als vollwertige Mitarbeitende in die Belegschaft aufgenommen.» auch bestimmt niemandem auf, dass die vom Arbeitgeber vermittelte Haltung eventuell auch etwas damit zu tun haben könnte, wie Mitarbeitende mit Behinderung in einem Betrieb aufgenommen werden.

Zudem zieht möglicherweise der eine oder andere Behinderte es sogar vor, in einem Betrieb als Quotenbehinderter zu gelten, denn als IV-Betrüger Bezüger. Im Anbetracht der nicht zuletzt durch Wirtschaftskreise geschürten jahrelangen Verunglimpfung von Menschen die angeblich lieber vom Sozialstaat leben als zu arbeiten, wirkt es einfach nur lächerlich, wenn man nun so tut, als wolle man es den armen Behinderten ersparen als Quotenbehinderte zu gelten. Vom Sozial-schmarotzer zum Quotenbehinderten gälte ja zumindest als eine Art Karriere-sprung.

Bleibt auch die Frage; wenn man sich beim Arbeitgeberverband angeblich so sehr sorgt um das Wohlergehen der Behinderten – warum man dann bisher nicht genügend Massnahmen für eine verstärkte Eingliederung ergriffen hat, so dass eine Quote gar nicht erst notwendig wäre?

Bei den finanziellen Kürzungen auf Seiten der Behinderten war man immer ganz vorne dabei und hat einseitig die Verantwortung auf die Betroffenen abgeschoben. Und nun, wo es darum geht, auch als Arbeitgeber Verantwortung zu übernehmen, wird gross rumgeheult: «Mit Quoten und Ersatzabgaben würde zudem auf kaltem Weg eine Arbeitgebersteuer eingeführt und damit vom paritätischen Finanzierungsteil der IV abgewichen. Denn einerseits haben gewisse Arbeitgeber schon aufgrund ihrer Tätigkeit oder Betriebsgrösse nicht die Möglichkeit, Handicapierte zu integrieren – für sie wäre der Malus somit eine unausweichliche Steuer. Anderseits müssten die Arbeitgeber alleine für die Lösung eines Problems gerade stehen, welche nicht nur sie, sondern die ganze Gesellschaft betrifft.»

Ach, sobald man selbst Verantwortung übernehmen sollte, ist es auf einmal ein Problem der ganzen Gesellschaft? Haben wir doch bisher gelernt, dass es eigentlich nur das Problem der Betroffenen sei, weil sie einfach zu faul oder zu krank wären? Und es deshalb auch völlig in Ordnung wäre, ständig auf ihnen rumzuhaken und ihnen die Leistungen zu kürzen…?

Plündern Ausländer die IV? – reloaded

Wir optimieren, qualifizieren, diplomieren und zertifizieren uns ein Leben lang. Wir werden seit frühester Jugend angehalten, stets das «Beste» aus uns zu machen. Und wir lesen und hören es immer wieder: Fehlende Aus- und Weiterbildung stellt das grösste Risiko dar, arbeitslos, Sozialhilfe – oder IV-Rentenbezüger zu werden. Nur: wenn alle optimiert, qualifiziert und diplomiert sind – wer arbeitet dann in den Fabriken? Wer auf den Baustellen? Als Putzkraft?

Ja, wer macht diese Jobs in der Schweiz…?

So hätte der Artikel eigentlich beginnen sollen. Er hätte davon handeln sollen, dass in Berufen mit hohem Unfallrisiko der Ausländeranteil überdurchschnittlich hoch ist, dass der Migrationskontext eine erhöhte gesundheitliche Vulnerabilität darstellen kann und damit im Falle einer Erkrankung die Vorraussetzungen für eine erfolgreiche Krisenbewältigung ungünstiger sind, als bei Menschen mit der selben Erkrankung, aber ohne Migrationshintergrund.

Ich hätte schreiben wollen, dass belastende Arbeitsbedingungen wie Eintönigkeit, mangelnde Befriedigung, körperliche Anstrengung, fehlende gesellschaftliche Anerkennung und geringer Lohn ebenso zu einer schlechteren Allgemeinverfassung beitragen können, wie die berufliche Perspektivenlosigkeit aufgrund mangelnder Ausbildung und Zusatzqualifikationen und damit das Invaliditätsrisiko erheblich steigern.

Ich hätte geschrieben, dass mit zunehmender Qualifikation eines Arbeitnehmers auch die Bereitschaft der Arbeitgeber steigt, diesen im Falle einer Krankheit oder eines Unfalls an einem geeigneten Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen – und in entgegengesetzter Richtung mit abnehmender Qualifikation des betroffenen Mitarbeiters eben auch sinkt. Was an sich logisch ist, denn je tiefer die Qualifikation desto weniger flexibel ist jemand einsetzbar.

Ich hätte auch erwähnen wollen, dass die Invalidenversicherung eine sogenannte Gleichwertigkeitsklausel kennt, die es in der Regel nicht erlaubt, dass sich jemand durch eine von der IV bezahlte Wiedereingliederungsmassnahme beruflich und finanziell besser stellen kann, als er es vor Eintritt der Invalidität war. Und was macht man dann mit unqualifizierten Arbeitskräften, die aufgrund einer körperlichen Behinderung/Erkrankung keine körperlich anstrengenden Tätigkeiten mehr ausüben können, wenn man sie nicht höher qualifizieren darf? Bzw. die Höherqualifikation (auf den ersten Blick) zu teuer/aufwändig und bei älteren Arbeitnehmern schlicht nicht mehr möglich ist? Genau: Berenten.

So hatte ich das alles gestern bereits geschrieben. Und nun wurden just heute zwei Studien des BSV veröffentlicht, die die erhöhte Rentenquote von Menschen aus Ex-Jugoslawien und der Türkei erforscht haben – deshalb füge ich mal das Fazit der einen Studie hier an:

Aufgrund der in dieser Studie festgestellten Tatsache, dass das erhöhte Invaliditätsrisiko der Migranten nicht «IV-hausgemacht» ist, sondern primär auf dem Verfahren zeitlich vorgelagerte Gründe zurükkzuführen ist, erweist sich der Spielraum der Invalidenversicherung für Anpassungen als eng. An der Tatsache, dass Migrantinnen und Migranten aus den hier im Vordergrund stehenden Ländern in Risikoberufen arbeiten, unterdurchschnittlich qualifiziert sind, häufig die Landessprache schlecht beherrschen, durch zusätzliche biographische Faktoren etwas stärker belastet und tiefere Eingliederungschancen in angepassten Tätigkeiten aufweisen als Schweizerinnen und Schweizer, kann die IV selbst wenig ändern.

Insgesamt verweisen die Befunde dieser Studie darauf, dass das Invaliditätsrisiko der Migrationsbevölkerung in der Schweiz wohl in starkem Masse von der Einwanderungs- und Integrationspolitik abhängt. Je besser die Integration der Migrantinnen und Migranten gelingt, desto grösser dürfte auch die Wahrscheinlichkeit sein, dass sie im Falle einer gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit wieder beruflich eingegliedert werden könen. (Quelle: «Migrantinnen und Migranten in der Invalidenversicherung: Verfahrensverläufe und vorgelagerte Faktoren» BSV 2010)

Erfreulich, dass das Ganze nun auch noch wissenschaftlich untermauert wird.

Ich füge dann doch nochmal einen Teil dessen ein, was ich eigentlich schreiben wollte, denn es verliert nichts von seiner Gültigkeit:

Anstatt sie zu verunglimpfen und zu Sündenböcken zu machen, sollten wir all diesen Menschen dankbar sein, die trotz Heimweh, schlechten Arbeitsbedingungen, Schichtarbeit, tiefem Lohn und körperlicher Belastung unsere Strassen und Häuser bauen, für saubere Büros sorgen, die alten Menschen pflegen, in den Wäschereien der Spitäler arbeiten und in den Fabriken an den Maschinen stehen. Und an tausend anderen Orten in aller Stille und Verstecktheit dafür sorgen, dass unser aller Leben reibungslos funktioniert.

Und es sollte selbstverständlich sein, dass sie bei Krankheit oder Unfall von der Invalidenversicherung, für die sie Beiträge bezahlt haben (denn wer nicht einbezahlt hat, erhält auch keine Leistungen) unterstützt werden.