SVP: «Gesunde sollen nicht als psychisch Kranke stigmatisiert werden». [Finde den Fehler]

Es gibt wohl kaum eine Publikation, welche in den letzten Monaten nicht über die im Mai 2013 erschienene Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM 5) der American Psychiatric Association berichtet hat. Meist mit einem drohenden Unterton à la «Der Wutanfall wird zur Krankheit». Auch wenn hiesige Psychiater beschwichtigen, dass in der Schweiz nicht das DSM sondern das ICD als Klassikfikationssystem gilt, zitierten viele Journalisten mit allergrösster Wonne (und einem gruseligen Schaudern) den bekannten amerikanischen Psychiater Allen Frances, der eindringlich vor dem DSM 5 warnt, denn danach gälte bereits die normale Trauer nach einem Todesfall als Depression und der Wutanfall eines Kindes als «schwere Emotionsregulationsstörung».

Geht man nach dem Grundtenor der Schweizer Medien ist das alllerallergrösste Problem, dass wir als Gesellschaft im Umgang mit psychischen Erkrankungen momentan haben, dass man als psychisch «Gesunder» ungerechtfertigterweise als «psychisch krank» eingestuft werden könnte. Und böse Medikamente nehmen müsse. Und an allem seien die bösen Psychiater und die noch böseren Pharmafirmen schuld. Als ob komplett gesunde Menschen auf der Strasse mit grossen Netzen eingefangen, in die Psychiatrie verschleppt und dort gegen ihren Willen zwangsweise Medikamente verabreicht bekämen.

Im Kontext-Gespräch vom 24. April 2013 erläuterte der Psychiater Paul Hoff die ganze Thematik angenehm unaufgeregt und differenziert und legte u.a. dar, dass psychiatrische Diagnosen vor allem als «Handwerkszeug» dienen und nicht in «Stein gemeisselt» sind. Sein Kollege Wulf Rössler sagte zudem in der Schweiz am Sonntag: «Wir suchen ja die Leute nicht und erklären sie für krank, sondern sie kommen zu uns, weil sie an einem psychischen Problem leiden und Hilfe suchen»

Unaufgeregt und differenziert ist ja aber leider eher nicht nicht so das Ding der SVP und so beglückt sie uns aktuell – nachdem das Thema jetzt monatelang medial wunderbar vorgespurt wurde – mit der parlamentarischen Interpellation «Inflation psychischer Störungen»: «In den letzten Jahren ist in der Psychiatrie eine Tendenz zur Findung und Ausweitung von Diagnosen auszumachen, bei welchen ehemals normale Verhaltensweisen zu Krankheiten umdefiniert werden(…)»

Darauf werden eine ganze Reihe Fragen gestellt:

  • 3. Wie hoch sind die gesamten Gesundheitskosten von psychischen Störungen und deren Behandlungen in der Schweiz?
  • 4. Wie hoch sind die dadurch anfallenden Kosten bei den Krankenversicherungen und Invalidenversicherung?
  • 8. Welche Instanz prüft neue psychische Störung in Bezug auf deren Anerkennung bei der IV und der obligatorischen Krankenversicherungen?
  • 10. Mit welchen Massnahmen gedenkt der Bundesrat sich einem allfälligen Trend der stetigen Ausweitung von psychischen Störungen und deren Definition als Krankheiten entgegenzustellen, zumal dadurch (…) die Stigmatisierung von Personen mit Problemen als psychisch Kranke (…) verhindert werden könnten?

Die SVP sagt hier also, dass psychische Krankheiten mit einem Stigma verbunden sind. Und damit nicht etwa GESUNDE, die einfach nur «ein Problem haben» aber auf gar keinen Fall «echt» psychisch krank sind, fälschlicherweise mit dem Stigma einer psychischen Krankheit leben müssen, muss der Bundesrat was tun. (Auf Deutsch: «Also die mit den neumodischen Krankheiten halten wir zwar nach wie vor für faule Scheininvalide, die eine Menge Kosten verursachen, aber PR-mässig kommt es besser, wenn wir uns um deren Stigmatisierung sorgen. Wir hatten da ja auch diesen Fall in der eigenen Partei… Burn-out oder… und deshalb muss man das Ganze jetzt etwas einfühlsam wirkend formulieren»)

Ähm wo war ich? Ja eben, weil für «Gesunde» ist so ein Stigma eine echte Zumutung, aber die wirklich Kranken, die haben’s ja nicht anders verdient… (Siehe auch: Angebliche Depression = rufschädigend?)

Einmal mehr macht hier die SVP etwas zum «Problem» was nicht das echte Problem ist. Das grösste Problem, das wir in der Schweiz mit psychischen Krankheiten haben, ist nämlich nicht, dass Gesunde fälschlicherweise für krank erklärt werden, sondern dass die SVP sich seit 10 Jahren anmasst, die Deutungshoheit über ein medizinisches Fachgebiet zu übernehmen, von dem sie nichts versteht dass psychisch Kranke oft erst zu spät behandelt werden, weil Betroffene sich aus Furcht vor Stigmatisierung nicht trauen, über ihre Probleme zu reden. 50% der Bevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens einmal an einer psychischen Störung, das ist also kein Nischenproblem einiger «Freaks». Unbehandelt können sich jedoch hartnäckige und chronifizierte Krankheiten entwickeln, die im schlimmsten Fall zur Invalidität führen können. Mit einer frühzeitigen und fachgerechten Behandlung könnte diese Entwicklung in vielen Fällen vermieden oder vermindert werden. Kostet dann auf lange Sicht auch weniger. Dazu müssen diese Krankheiten aber entstigmatisiert werden.

Aber genau das will die SVP nicht. Wär ja blöd, dann hätte man eine Randgruppe weniger, auf der man rumhaken kann – Entstigmatisierung psychisch Kranker… wo kämen wir denn da hin, wenn wir diese Freaks als Menschen sehen würden?

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Apropos «Stigmatisierung bitte nur für die Anderen»: In der aktuellen Diskussion um die Revision des Strafrechts findet die SVP, dass es einen Unterschied gäbe zwischen «eigentlichen Kriminellen» und «zehntausenden von Strassenverkehrsteilnehmern» die – wenn sie mit dem Gesetz in Konflikt kämen – nicht als «kriminell» stigmatisiert werden dürften. Woher kennen wir das Prinzip gleich nochmal? Ahja: alle IV-Bezüger sind Betrüger, denen man die Leistungen kürzen muss, ausser die (teil)invaliden Bauern, denen soll eine Sonderbehandlung zukommen.

Zimmerpflanzen reloaded

Im vorhergehenden Artikel habe ich einen weiteren wichtigen Grund für die geringe Verbreitung von Supported Employment in der Schweiz vergessen zu erwähnen: Die Vorurteile und Befürchtungen der Arbeitgeber gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen. Im Interview erwähnt die Fragende zwar die KMU-Untersuchung, welche gezeigt hat, dass Unternehmen lieber wenig leistungsbereite gesunde, als leistungsbereite psychisch kranke Bewerber einstellen, Hoffmann weicht der Problematik der Stigmatisierung jedoch mit einer eher technisch orientierten Antwort aus und hebt finanzielle und organisatorische Anreize für Arbeitgeber hervor. Diese Anreize lösen das generelle Problem der Stigmatisierung natürlich nicht.

Und ein weiteres Detail (das ich eigentlich nicht erwähnen wollte, weil… man kann ja nicht immer meckern, aber es ärgert mich eben doch zu sehr) trägt da nicht unwesentlich dazu bei: Selbst Hoffmann als Eingliederungsprofi sagt diesen elenden Satz, den ich persönlich einfach nicht mehr hören kann: «Es gibt weniger sogenannte Nischenarbeitsplätze, wo Arbeit mit einer geringeren Qualifikation ausgeführt werden kann.»

Solange die Worte «Nischenarbeitsplätze» (Treue BlogleserInnen erinnern sich: Zimmerpflanzen!) sowie «geringe Qualifikation» (Again: Zimmerpflanzen!) geradezu zwanghaft im Zusammenhang mit der Arbeitsintegration von Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. überhaupt Behinderungen benutzt werden, braucht man sich dann aber nicht über eher zögerliches Engagement der Arbeitgeber wundern. Das Etikett «krank» bzw. «behindert» reicht ja schon, aber wenn das dann auch noch automatisch verbunden wird mit «niedrig qualifiziert» und «Extraanspruch für eine hübsche kleine Nische» – dann schlägt das selbst den wohlwollendsten Arbeitgeber in die Flucht.

Ich möchte ja niemandem böse Absichten unterstellen, aber es ist schon auffällig, mit welcher Vehemenz und Konstanz viele Eingliederungsfachleute (welcher Art der Eingliederung nun auch immer) dieses Mantra der Nischenarbeitsplätze/Niedrigqualifikation wiederholen. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass sie mit der Abwertung ihrer Klientel die eigene Notwendigkeit/Überlegenheit bekräftigen möchten. Frei nach dem Motto: «Es ist ja soooo schwierig für diese armen kranken und dazu auch noch dummen Geschöpfe einen Arbeitsplatz zu finden und zu behalten, deshalb braucht es uns, die echt tollen Eingliederungsfachleute, mit unseren geheimen Integrations-Superkräften».

Eingliederung ist ein Business. Klar. Und ja, Klappern gehört auch mit zum Handwerk. Aber die Abwertung der eigenen Klientel hat in einem professionellen Umfeld nichts zu suchen. Auch nicht im Sozialbereich. Das vermittelte Bild hat nämlich Signalwirkung. Da darf sich dann auch ein Direktor des Arbeitgeberverbandes (Thomas Daum anno 2010 anlässlich der Quotendiskussion) in aller Öffentlichkeit ganz selbstverständlich mit folgenden Worten äussern: «Wo soll eine Privatbank oder eine Ingenieurunternehmung Behinderte finden, um die Quote zu erfüllen?».

Denn wie wir ja alle wissen (und falls wir es wieder vergessen sollten, erinnert uns ein netter Eingliederungsexeprte daran) sind Behinderte und Kranke zimmerpflanzengleich ausschliesslich in Nischenarbeitsplätzen und bei niedrigqualifizierten Arbeiten zu finden. Und um jedem Arbeitgeber einzeln in hochbezahlten Coaching-Gesprächen zu erklären, dass der zu vermittelnde Klient zwar ein bisschen behindert aber doch gaaanz liiiieb und auch echt leistungswillig ist brauchen wir dann die Eingliederungs-Coaches. Ein sich selbst erhaltendes Sozialindustrie-Perpetuum-mobile.

Nicht falsch verstehen: Coaching ist eine ganz tolle Sache. Aber C.O.A.C.H so wie in Sportler-Coach, nicht wie in «der-Behindi-braucht-einen-Behindibetreuer-weil-er-selbst-zu-doof-ist».
Coach. Auf Augenhöhe. Einer, der den Klienten so gut coacht, dass der Coach sich selbst irgendwann überflüssig macht. Ja, ich weiss, das läuft der Geschäftsidee zuwieder, weil: Möglichst langwierige Abhängigkeit der Klienten zahlt sich natürlich aus. Selbständige Klienten sind Gift für die Geschäftsbilanzen der Eingliederungsfirmen. Aber eigentlich sollten das Ziel doch möglichst selbständige Klienten sein? Oder etwa nicht…?

Nachtrag 7. März 2013: Gestern wurde auf Tele Basel ein kurzes Interview mit Marcel Paolino gesendet. Paolino wechselte vom BSV (Bereich Eingliederung IV) zur Integrations-Stiftung ipt. Interessant u.a. anderem, wie er erwähnt, wie man bei der IV als Geldgeber ja das Geld denen geben wolle, die es am besten machen und die IPT hätte so von ihren Eingliederungserfolgen «geschwärmt»… Oder auch: wie toll es sei, wenn man es schaffe, die Leute auch nach langer Zeit ohne Arbeit wieder zu integrieren. (Wohlgemerkt: «man» schafft es, nicht «die Betroffenen schaffen es – mit unserer Unterstützung»).

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Vor einigen Tagen sendete 10vor10 anlässlich des IV-Sparwahns bei der SGK-N einen Beitrag über die schwierige Wiedereingliederung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Untenstehend ein Filmstill aus dem Beitrag:

Das Still «zeigt» M.R. welcher kurz vor der Matura an Schizophrenie erkrankt ist, trotzdem später eine KV-Lehre absolviert und erst nach langer Suche eine 50%-Stelle im «normalen» Arbeitsmarkt gefunden hat.
Was dieses Bild auch zeigt: Was Stigmatisierung bedeutet.
Psychisch kranke Menschen möchten ihr Gesicht nicht zeigen. Sie bleiben lieber anonym. Das ist verständlich, da sie –  leider nicht zu Unrecht – befürchten müssten, im beruflichen und/oder persönlichen Umfeld mit Vorurteilen und anderen Schwierigkeiten konfrontiert zu werden, würden sie sich öffentlich «outen».

Das Problem an der ganzen Sache ist; dadurch entsteht ein sich selbst aufrechterhaltender Teufelskreis. Solange Menschen mit einer psychischen Erkrankung in den Medien entweder nur als gefährlich oder als unscharfer Umriss dargestellt werden, bleibt die Stigmatisierung aufrechterhalten. Denn die Menschen dahinter bleiben verborgen.

Und politisch ist eine «anonyme Masse» sehr viel einfacher zu diskriminieren, als Menschen mit Namen, Gesicht und Stimme.

Manchmal denke ich, manchen psychisch soweit «gesunden» Menschen macht der Gedanke an Gemeinsamkeit/Ähnlichkeit mit psychisch Kranken viel mehr Angst als die Unterschiede zu ihnen. Diese Unterschiede sind nämlich in vielen Bereichen oftmals gar nicht so gross.

Auch psychisch kranke Menschen möchten sich – soweit es ihre Krankheit zulässt –  einbringen, ihre Talente entfalten, sich nützlich fühlen. Es ist wesentlich einfacher, diese Tatsachen zu verleugnen*, und die Betroffenen als komplett anders als man selbst – nämlich als faul und unwillig darzustellen (womit Politiker und andere Akteure die immer weiter verschärfte IV-Gesetzgebung rechtfertigen) als einzugestehen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der offenbar (noch) eine so grosse Stigmatisierung von psychisch Kranken besteht, dass es Betroffenen nicht mal möglich ist, sich ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit zu äussern.

Wenn das nicht möglich ist – wie soll dann erst Integration funktionieren?

Video-Beitrag 10vor10

Siehe auch Blogeintrag: Wen würden Sie einstellen?

*Festzustellen, dass psychisch kranke Menschen vielleicht gar nicht so anders sind als man selbst, bedeutet eben auch anzuerkennen, dass man selbst vielleicht auch psychisch erkranken könnte – und dadurch vorübergehend oder dauerhaft das verlieren könnte, worauf man so unglaublich stolz ist: Mit dem eigenen Willen «alles» erreichen zu können. Also sagt man lieber, «die» sind ganz anders als ich. Ich bin rechtschaffen, pflichtbewusst, arbeitsam. «Die» nicht.

See me – I’m a person not a label

Plakate aus der mehrjährigen Schottischen Kampagne «see me» gegen Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Great.

Davon ist die Schweiz noch Lichtjahre entfernt. Hierzulande hat man noch nicht begriffen, dass Arbeitsintegration nicht ohne soziale Integration funktioniert. Solange Menschen mit psychischen Erkrankungen von einem Grossteil der Schweizer Bevölkerung ausgegrenzt, stigmatisiert und nicht als Mitarbeiter oder Arbeitskollegen akzeptiert werden, braucht man sich auch nicht wundern, wenn die Betroffenen aus der Arbeitswelt herausfallen.

Verschenktes Potential durch Zwang zur «Normalität»

Stigmatisierende Konzepte in der beruflichen Rehabilitation

Ein Artikel von Anna Domingo und Niklas Baer erschienen in «Psychiatrische Praxis» -> vollständiger Artikel als PDF

Auszüge:

(…)Alle, die mit psychisch kranken Menschen arbeiten, wissen, wie oft man sich hilflos, frustriert, verärgert fühlt und wie schwierig es ist, Menschen zu begegnen, die große Fähigkeiten haben und diese wegen ihrer Krankheit nicht umsetzen können. Das Aushalten dieser Tatsache ist enorm anstrengend und oft eben „kaum auszuhalten”. Das „nichtaushalten” dieser Realität kann dazu führen, dass es diese Realität nicht mehr geben darf. (…) Das Verleugnen der Krankheit und deren Folgen ist eine typische Abwehrstrategie, die dazu dienen sollte, den Umgang mit der hoch belastenden Realität psychisch Kranker zu erleichtern.

(…) In der inneren Welt eines psychisch kranken Menschen gibt es andere Prioritäten als Ordnung. Ihr Alltag ist oft mit einer einzelnen Frage besetzt: Wie kann ich meinen psychischen Schmerz etwas lindern? (…) Es ist nicht hilfreich, der intrapsychischen Welt des psychisch Leidenden eine äußere Ordnung und – von psychisch nicht kranken Menschen festgelegte – Normalitätskriterien aufzudrängen.

(…) Die Rehabilitation hat sich jedoch zunehmend erzieherischen Prinzipien angenähert, die zum Ziel haben, die psychisch kranke Person durch pädagogische Interventionen „zu verbessern”. (…) Erfolg bedeutet in der Rehabilitation, normal zu funktionieren und zurückzukehren in den allgemeinen Arbeitsmarkt, in die Welt der Normalen, die ihr Brot selber verdienen. Je nach Rehabilitationseinrichtung schaffen das etwa 70 – 95 % der Klientinnen nicht, und wir wissen im Voraus, dass dieses Ziel unter den heutigen Bedingungen oft nicht erreicht werden kann. Die meisten Menschen, die berufliche Rehabilitation benötigen, sind sehr krank, und viele von ihnen werden nie ein ganzes Pensum arbeiten können. Sie werden jedoch weitertrainiert, um dieses unerreichbare Ziel zu erreichen – die Normalität. Psychisch Behinderte normalisieren zu wollen, beinhaltet eine klare Wertung: Normal sein hat mehr Wert als psychisch krank zu sein. Das ist stigmatisierend.

(…) Ein weiteres Konzept verhindert die Integration psychisch kranker Menschen in der Gesellschaft: Die Überbewertung des Willens. Psychisch kranke Menschen müssten arbeiten wollen und höhere Leistungen bringen wollen, sonst sei eine Eingliederung nicht möglich. Können und wollen werden leicht verwechselt, da die Behinderung des psychisch Kranken nicht äußerlich zu erkennen ist wie bei anderen Behinderungen.(…) Niemand würde einem blinden Jugendlichen sagen, er solle sich mehr Mühe geben, dann werde er wieder besser sehen und normal arbeiten können.

(…) Die Energie, die heute durch einen unerfüllbaren und deshalb resignationsfördernden Normalitätsanspruch gebunden wird, wäre wieder frei. Diese Energie wird dringend benötigt, um die fachliche Weiterentwicklung zu fördern und um die Idee umzusetzen, dass psychisch kranke Menschen viel beitragen können, wenn sie sich unterscheiden dürfen.